Dunning-Kruger-Effekt

Haben Sie sich jemals gefragt, wie objektiv Sie Ihre eigenen Fähigkeiten einschätzen? Leiden Sie vielleicht unter dem Impostor-Syndrom oder einer überhöhten Selbstwahrnehmung? Wenn es um eine nüchterne Bewertung der eigenen Stärken geht, kommt man nicht um das Thema des Dunning-Kruger-Effekts herum. Darunter versteht man eine Form der kognitiven Verzerrung, bei der eine Person ihre tatsächlichen Fähigkeiten falsch einschätzt.

Im Rahmen von Studien wurde ein Muster festgestellt: Weniger kompetente Menschen neigen dazu, ihre Fähigkeiten zu überschätzen, während hochqualifizierte Fachleute ihre Stärken eher unterschätzen.

Was ist der Dunning-Kruger-Effekt?

Bei diesem Effekt handelt es sich um eine spezielle Form der kognitiven Verzerrung, bei der eine Person überzeugt ist, in einer bestimmten Sache hervorragend Bescheid zu wissen, obwohl sie objektiv nur ein geringes Wissen in diesem Bereich hat. Dieses psychologische Phänomen führt dazu, dass die Person häufig Fehler macht und falsche Entscheidungen trifft. Wie der Sozialpsychologe D. Dunning sagte, liegt die Ironie des Effekts darin, dass manchen Menschen der Verstand fehlt, um zu erkennen, dass ihnen der Verstand fehlt.

Geschichte des Ursprungs

Diese kognitive Verzerrung ist nach den US-amerikanischen Psychologen D. Dunning und J. Kruger benannt. Im Jahr 1999 führten sie unter ihren Studenten Tests zur Einschätzung von Humor, logischen Fähigkeiten und Grammatikkenntnissen durch.

Das Besondere an diesem Test war, dass die Psychologen die Studenten vor der Bekanntgabe der Ergebnisse zunächst baten, ihre Arbeit in Prozent zu bewerten. Und hier geschah das Interessanteste:

  • Studenten, die in allen Tests etwa 15 % erreichten, schätzten ihre Fähigkeiten um 50 % oder mehr höher ein;
  • Studenten mit den besten Ergebnissen in allen drei Tests unterschätzten sich hingegen erheblich.

Aber kann eine inkompetente Person erkennen, dass ihr Wissen nicht ausreicht? Um diese Frage zu klären, luden die Psychologen die Teilnehmer mit den niedrigsten Punktzahlen ein, die Tests anderer Teilnehmer zu bewerten und anschließend ihre eigenen Tests erneut einzuschätzen. Hier geschah das Spannendste: Die schlechter abschneidenden Studenten erkannten nicht nur ihre eigene Inkompetenz nicht an, sondern gaben sich sogar noch höhere Punktzahlen als zuvor. Erst nach einer Schulung zu den geprüften Themen begannen sie, ihre Fähigkeiten zu überbewerten.

Die Dunning-Kruger-Kurve

Dunning-Kruger-Kurve

Visuell wird dieser Effekt durch ein Diagramm beschrieben, das das Verhältnis von Selbstvertrauen und Kompetenz darstellt. Es handelt sich im Wesentlichen um den Weg der meisten Menschen vom Dilettanten zum Experten. Die Kurve besteht aus vier Abschnitten:

  • Der Gipfel der Dummheit. Die Person ist maximal selbstsicher und denkt: „Ich weiß absolut alles!“ Hier wird deutlich, wie wenig Wissende eine hohe Selbstsicherheit haben und ihre Kompetenz zu optimistisch einschätzen.
  • Das Tal der Verzweiflung. Dies ist ein völlig gegensätzliches Gefühl zum vorherigen Abschnitt der Kurve: „Ich weiß überhaupt nichts!“
  • Der Hang der Erleuchtung. In dieser Phase hat die Person genügend Wissen angesammelt, um es praktisch anzuwenden. Sie erkennt nun, dass Raum für Wachstum und Entwicklung besteht.
  • Das Plateau der Stabilität. Dieser Abschnitt zeigt an, dass die Person bereits ein Fachmann ist und Selbstvertrauen in ihre Fähigkeiten entwickelt hat.

Merkmale des Dunning-Kruger-Effekts

Dieser Effekt könnte auch einfacher als „Besserwisser-Syndrom“ bezeichnet werden. Man kann ihn bei einer Person sogar in einem einfachen Gespräch erkennen. Folgende Merkmale deuten darauf hin, dass jemand unter dieser kognitiven Verzerrung steht:

  • Überschätzung der eigenen Fähigkeiten;
  • Unterschätzung der Kompetenz von Kollegen;
  • Fehlendes Verständnis dafür, dass sie falsch liegen.

Gleichzeitig kann eine Person ihre Inkompetenz durchaus anerkennen, nachdem sie eine Schulung absolviert hat, selbst wenn ihr Wissen nur geringfügig zunimmt.

Dieser Effekt kann bei jedem auftreten. Bei überhöhter Selbstwahrnehmung äußert er sich in folgenden Merkmalen:

  • Übermäßig optimistische Einstellung zu den Ergebnissen der eigenen Tätigkeit;
  • Tendenz, vergangene Erfolge zu übertreiben;
  • „Ich hab’s doch gesagt!“ – Beharren darauf, dass die Person wusste, wie ein Ereignis enden würde;
  • Verhaltensänderung in einem engen Kreis;
  • Feste Überzeugung, alles bis ins Detail zu wissen.

Am Arbeitsplatz werden solche Menschen zu unerträglichen Vorgesetzten. Gleichzeitig bleiben kompetentere, aber weniger energische Personen im Hintergrund.

Beispiele für den Effekt

Beispiel 1:

Im Jahr 1995 ereignete sich eine wahre Geschichte, die diesen Effekt gut beschreibt. Zwei Banken wurden überfallen, doch da die Räuber sich überhaupt nicht maskierten, konnten sie schnell identifiziert und festgenommen werden. Die Räuber hatten ihre Gesichter mit Zitronensaft eingerieben und waren überzeugt, dass Überwachungskameras sie dadurch nicht aufzeichnen könnten – schließlich wird Zitronensaft für unsichtbare Tinte verwendet. Vor dem Überfall testeten sie ihre Hypothese sogar mit einem Polaroid-Foto. Ob wegen defekter Filmrolle oder weil das Gesicht bei Bewegung verschwommen war, war das Gesicht auf dem Foto tatsächlich nicht erkennbar. Das überzeugte die Männer endgültig von ihrer Richtigkeit.

Beispiel 2:

Haben Sie den Film „Florence Foster Jenkins“ (2016) mit Meryl Streep gesehen? Die Hauptfigur Florence Foster Jenkins träumte davon, Opernsängerin zu werden. Dabei fehlten ihr völlig Stimme und musikalisches Gehör. Doch der Mangel an Talent hielt die New Yorker Millionärin nicht ab. Am Ende erhielt sie den Titel der schlechtesten Sängerin der Welt, war jedoch überzeugt, einen unglaublich schönen Gesang und ein perfektes Gehör zu haben.

Der Dunning-Kruger-Effekt und die Selbstwahrnehmung

Dieser Effekt ist eng mit Abweichungen in der Selbstwahrnehmung verbunden. Psychologen zufolge sind Menschen mit extrem hoher Selbstwahrnehmung anfälliger für den Dunning-Kruger-Effekt. Sicherlich sind Ihnen solche „Besserwisser“ begegnet, die in Wirklichkeit komplette Dilettanten waren und ihren Wissensmangel mit Durchsetzungskraft und Überzeugung von ihrer Richtigkeit kompensierten.

Hier können Sie Ihre Selbstwahrnehmung mit der ROSENBERG-SELBSTWERTSKALA überprüfen.

Die andere Extremität dieses Effekts ist das Impostor-Syndrom. Eine Person mit diesem Syndrom zweifelt ständig an ihrem eigenen Wissen und überhöht die Fähigkeiten anderer. Manchmal ist sie so tief in ein bestimmtes Gebiet eingetaucht, dass sie nicht mehr erkennt, wie weit sie anderen voraus ist. Das Impostor-Syndrom geht meist mit geringer Selbstwahrnehmung einher.

In der Arbeitswelt fällt es solchen Menschen schwer, ihre Meinung zu vertreten. Sie geben Kollegen und Vorgesetzten nach, selbst wenn sie deren Fehler kennen. Zweifel an den eigenen Fähigkeiten und geringe Selbstwahrnehmung hindern sie daran, aktiv für ihre Ideen zu kämpfen.

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Kritik an der Theorie

Kritiker der Theorie weisen oft darauf hin, dass die Autoren die Studienergebnisse an eine bequeme Theorie angepasst haben, obwohl die Ergebnisse leicht durch ein Phänomen der statistischen Analyse erklärt werden könnten, nämlich die „Regression zum Mittelwert“ (engl. regression towards the mean). Tatsächlich wäre die Verzerrung bei wiederholten Tests nicht so deutlich.

Darüber hinaus zeigen viele Studien, dass Menschen generell dazu neigen, ihr Wissen hoch einzuschätzen. Einige Untersuchungen widerlegen die Dunning-Kruger-Theorie sogar vollständig. Zum Beispiel bewerteten in einer Studie der Universität von Kalifornien 80 % der unqualifizierten Befragten ihre tatsächlichen Fähigkeiten korrekt.

Wie man kein Opfer des Dunning-Kruger-Effekts wird

Wenn Sie vermuten, mit diesem Effekt konfrontiert zu sein, gibt es 5 Tipps, wie Sie ihm nicht zum Opfer fallen:

  • Versuchen Sie, Ihre eigenen Aussagen infrage zu stellen – entwickeln Sie Gegenargumente, um Ihre Überzeugung von Ihrer Richtigkeit zu widerlegen;
  • Lernen Sie, Kritik anzunehmen;
  • Kommunizieren Sie mehr mit anderen und bleiben Sie offen für alternative Sichtweisen;
  • Vermeiden Sie voreilige Schlüsse;
  • Steuern Sie Ihr Selbstvertrauen – es nimmt in der Regel ab, je mehr Wissen und Erfahrung Sie sammeln. Denken Sie daran.

Wenn Sie ständig an sich arbeiten, Neues lernen und Ihre Fähigkeiten entwickeln, brauchen Sie dieses Syndrom nicht zu fürchten. Beachten Sie jedoch, dass Sie als Experte in einem Bereich in anderen ein Dilettant sein könnten.